September

Der moderne Gentleman

von Philip Lücke - 4 Sep, 2016

Der moderne Gentleman trägt Manschettenknöpfe

Der Begriff Gentleman bezeichnet wie kein anderer eine große Vielzahl von verschiedenen Personengruppen. Abhängig davon, ob die Auffassung dieses Begriffs eher modern oder klassisch gehalten ist, müssen verschiedene Personengruppen mit einbezogen oder ausgeschlossen werden. Doch was unterscheidet den klassischen Ehrenmann vom modernen Gentleman und wie hat sich dieser Begriff im Laufe der Zeit historisch entwickelt? Mit diesen Fragen beschäftigt sich der folgende Artikel.

Was ist ein Gentleman?

Klassischer_gentleman Unabhängig von der zeitlichen Verwendung des Begriffs sind einige zentrale Merkmale eines Gentlemans über die Jahrhunderte erhalten geblieben. So wird grundsätzlich lediglich ein männlicher Mensch als Gentleman bezeichnet, der sich aufgrund von bestimmten Merkmalen von der Masse an Männern unterscheidet. Je nach zeitlicher Zuordnung kann dieses Merkmal die Zugehörigkeit zum Adel, die Bildung, der Charakter, die Beschäftigung, die Kleidung oder sogar die Lebenskunst sein.

Ein Gentleman betrachtet sich selbst und wird von der restlichen Gesellschaft als erhabenes Mitglied der Gesellschaft betrachtet und wird entsprechend an anderen Maßstäben gemessen. Ein Verhalten oder ein Kleidungsstil, der bei einem durchschnittlichen Mann durchaus akzeptabel ist, wird bei einem Gentleman für gewöhnlich nicht toleriert.

Woher stammt dieser Begriff?

Gentleman Der Begriff des Gentlemans hat seinen Ursprung in Großbritannien, lässt sich jedoch auf eine altrömische Bedeutung zurückführen. Grundsätzlich besteht dieser Begriff aus den beiden englischen Wörtern "gentle" und "man". Als "gentle" werden üblicherweise besonders liebenswürdige, gütige und höfliche Menschen bezeichnet. Während die Bezeichnung "man" im englischen ebenfalls für die allgemeine vom Geschlecht unabhängige Bezeichnung eines Menschen verwendet wird, muss bezüglich der Begriffsklärung des Gentlemans die zweite Übersetzungsmöglichkeit, "Mann", gewählt werden. Nach aktuellen Gesichtspunkten bezeichnet dieser Begriff also einen liebenswürdigen, gütigen bzw. höflichen Mann.

Das Attribut "gentle" aus dem Englischen stammt jedoch aus dem altfranzösischen und bezieht sich auf das Wort "gentil". Dieser Begriff muss jedoch mit "wohlgeboren" übersetzt werden und bezieht sich auf adelige Menschen. Seinerseits geht dieser Begriff auf das altrömische Wort "gentilis" zurück, welches den Zustand beschreibt, dass ein Mensch einer bestimmten Familie, Völkerschaft oder Rasse angehört.

Deshalb umschreibt grundsätzlich betrachtet der Begriff Gentleman eine Gesellschaftsschicht, die ausschließlich aus männlichen Mitgliedern besteht und sich als eigenes Volk bzw. Rasse betrachtet. Damit wird grundsätzlich der männliche Teil des Adels gemeint. Entsprechende Nachweise dieser Bedeutung lassen sich in jeder europäischen Sprache finden. So ist das französische Wort für Adel "gentilhomme", das spanische Wort für Adel "gentilhombre" und das italienische Wort für Adel "gentiluomo". Jedes dieser Worte besteht aus dem Wortstamm "gentil" und der für die Sprache typischen Bezeichnung des Menschen, ebenso wie der Begriff "Gentleman".

Die historische Bedeutung des Begriffs

Klassischer_gentleman Das früheste Auftreten dieses Begriffs findet sich bereits im alten Griechenland. Dort nahm eine Umschreibung des Gentlemans in der Philosophie eine tragende Rolle ein. In der alten griechischen Weltanschauung galt der Gentleman als Idealmensch, der sich durch sämtliche Tugenden eines guten Menschen auszeichnet, sein Leben der akademischen Forschung widmet und vollständig uneigennützig handelt. Bereits zu dieser Zeit zeichnete den Gentleman aus, dass er Teil einer gleichberechtigten Gesellschaft war, welche selbst nicht körperlich arbeiten durfte, sondern von Sklavenarbeit oder der Beschäftigung von Menschen, deren untergeordnete Stellung nicht angezweifelt werden konnte, leben musste.

Anschließend wurden im alten Rom und in den mittelalterlichen Gesellschaften Europas stets männliche Vertreter des Adels als Gentleman bzw. zu Deutsch "Ehrenmann" bezeichnet. Erst deutlich später wurde durch Abwandlungen des Begriffs erweiterte Personenkreise geschaffen, welche Menschen mit einbezogen, die laut ursprünglicher Definition des Gentlemans nicht zu der Gesellschaft dazugehörten. So wurden besonders reiche und erfolgreiche Kaufleute häufig als "New Gentleman" bezeichnet. Menschen einfacher Stände, die sich jedoch aufgrund von besonderen charakterlichen Vorzügen auszeichnen konnten, bezeichnete man lange Zeit als "Gentleman by nature". Wohingegen Menschen unterer Schichten, die notwendigerweise im Krieg in den Offiziersrang erhoben werden mussten, lediglich als "Temporary Gentleman" (zeitlich begrenzter Ehrenmann) während ihrer Amtszeit bezeichnet wurden.

Gentleman Erst ab dem 19. Jahrhundert konnte man eine allgemeinere Verwendung des Begriffs erkennen. Zu dieser Zeit stellte der Begriff eine Bezeichnung für einen besonders freundlichen bzw. höflichen Mann dar. Ausschlaggebend für diesen Titel war jedoch lediglich das Verhalten gegenüber Damen. Später wurde der Begriff immer allgemeiner verwendet und wird in der heutigen Zeit in einigen Kontexten als Synonym für die Bezeichnung "Mann" verwendet. In Großbritannien sind beispielsweise sämtliche Herrentoiletten mit der Bezeichnung Gentlemen beschriftet. Ebenfalls wird dieser Begriff heutzutage besonders häufig in Bezug auf das Rotlichtmilieu verwendet. So beschreibt die Bezeichnung "Gentleman's Club" oft lediglich ein gewöhnliches Bordell.

In seiner ursprünglichen Bedeutung lebt das Wort Gentlemen ausschließlich in bestimmten Kontexten weiter. So bezeichnet man ein Ehrenwort noch immer in gewissen Kreisen als "Gentleman's Agreement" und achtet vor allem im Businessbereich auf die Einhaltung der alten Grundsätze der Ehrenmänner.

Gesellschaftliche Stellung des Gentlemans

Klassischer_gentleman Im Laufe der Jahrhunderte änderte sich die gesellschaftliche Stellung des Gentlemans ebenso häufig, wie die Bedeutung des Wortes. Der ursprüngliche Ehrenmann des alten Griechenlands galt als besonders gütiger, weiser Mann ohne politische Macht. Ein Ehrenmann wurde zu dieser Zeit besonders häufig bei Problemen um Rat gebeten und beschäftigte sich uneigennützig mit den Belangen anderer Menschen. Entsprechend geachtet war er in der Gesellschaft und nahm eine hohe gesellschaftliche Stellung ein.

Da später zunehmend das uneigennützige Attribut des Ehrenmanns nach und nach verschwand, nahm ebenso die Achtung des Ehrenmanns in weiten Teilen der Gesellschaft ab. Zu dieser Zeit sicherten sich die Adligen durch ihre politische Macht eine hohe gesellschaftliche Stellung, die nicht auf Achtung, sondern auf Angst beruhte. Entsprechend zeichnete sich immer mehr ein negatives Bild des Gentlemans ab.

Erst im 19. Jahrhundert nahm die gesellschaftliche Stellung von Menschen, die als Gentlemen bezeichnet wurden, wieder zu. Der Ehrenmann wurde wieder zum Ideal der Gesellschaft und zeichnete sich durch ein tadelloses Verhalten und Aussehen aus. Gleichzeitig verlor die Bezeichnung jedoch ihren Bezug zum Adel, sodass einen Ehrenmann lediglich sein Äußeres, sein Besitz und sein Verhalten auszeichneten.

Heutzutage betrachtet man Gentlemen deutlich kritischer. Das typische Verhalten eines Gentlemans wird nicht länger ausschließlich positiv aufgefasst und hat im Rahmen des Gendermainstreams seinen Charakter als ideales Verhalten verloren. Praktizierende Gentlemen müssen sich hingegen oft dem Vorwurf des Sexismus stellen, da sie sich lediglich Frauen gegenüber besonders höflich und freundlich zeigen. Entsprechend sind neuere Entwicklungen des sogenannten "Gender Gentleman" zu beobachten.

Wie kleidet sich der Ehrenmann?

Gentleman Die Kleidung nimmt für Gentlemen eine zentrale Rolle ein. Sie ist das Erste, was der Gegenüber von einem wahrnimmt und prägt deshalb den ersten Eindruck besonders stark. Bereits im Mittelalter konnte man einen unterschiedlichen Kleidungsstil von Gentlemen und anderen Männern beobachten.

Während die Kleidung des Großteils der Gesellschaft lediglich funktionale Aufgaben zu erfüllen hat und allenfalls von dem persönlichen Geschmack des tragenden abhängig ist, stellt die Kleidung des Gentlemans eine gesellschaftliche Grundhaltung dar. Sämtliche Kleidungsstücke müssen optimal aufeinander abgestimmt sein und dürfen weder dreckig noch zerknittert sein.

Im 19. Jahrhundert gehörte zu der typischen Kleidung des Gentlemans neben einem Mantel immer ein passender Hut und Gehstock. Beide mussten natürlich optimal mit der restlichen Kleidung harmonieren und in einem perfekten Winkel getragen werden. Zu dieser Zeit gab es umfangreiche Seminare und Bücher, die dem Ehrenmann den perfekten Umgang mit seinem Gehstock lehren sollten. Der Gehstock musste so getragen werden, dass er sich der Bewegung des Körpers angleicht und sich als drittes Bein harmonisch mit dem Körper bewegt.

Im 20. Jahrhundert löste ein maßgeschneiderter Anzug den Mantel ab. Vorerst wurde der passende Hut durch einen Zylinder ersetzt und später folgte die Melone. Nach und nach verschwand der Gehstock jedoch vollständig. Stattdessen gesellten sich zu dem typischen Outfit eine passende Fliege und Manschettenknöpfe hinzu. Erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts wurde die Fliege durch eine Krawatte ersetzt und durch edle Krawattennadeln optisch ergänzt.

Im 21. Jahrhundert änderte sich lediglich die Farbe des Anzugs. Während im 20. Jahrhundert noch karierte Anzüge und Nadelstreifenanzüge getragen wurden, ist man im 21. Jahrhundert dazu übergegangen, lediglich einfarbige Anzüge zu tragen. Auch wenn man relativ selten Anzüge in weinrot, weiß oder braun beobachten kann, ist der Anzug eines wahren Gentlemans meist in einem schlichten Schwarz gehalten.
 

Wie verhält sich der Ehrenmann?

Klassischer_gentleman Der Ehrenmann gilt seit hunderten von Jahren als Idealbild des Mannes und hat sich entsprechend auch so zu verhalten. Ein Ehrenmann bleibt in jeder Situation höflich und vornehm. Bereits 1386 wurden einige Standards für die Verhaltensweise eines Gentlemans schriftlich festgehalten. Dabei wurde besonders viel Wert daraufgelegt, dass der Ehrenmann Umsicht und Sorgfalt darauf verwendet, jederzeit seinen guten Namen und den guten Namen einer jeden Dame in der Nähe zu verteidigen.

Seit jeher steht das Bild des Gentlemans für einen Mann, der sich tugendhaft und meist etwas zurückgezogen damit beschäftigt, Gutes zu tun. Weiterhin zeichnete zu dieser Zeit einen Ehrenmann vor allem Mut, Geduld, Ehrlichkeit und Nächstenliebe aus. Entsprechend wurden bereits im 16. Jahrhundert kritische Äußerungen bezüglich der Betrachtung von Adligen als Gentleman getätigt.

Auch ein moderner Ehrenmann ist stets auf sein Ansehen und seine Würde bedacht. Dies erfordert neben einem moralisch korrekten Verhalten ebenfalls die ständige Einhaltung eines politisch korrekten Verhaltens und einer politisch korrekten Ausdrucksweise.

Entsprechend kommt es vor allem im 21. Jahrhundert zu Konflikten mit dem klassischen Verhalten eines Gentlemans. So ist es nicht mehr gesellschaftskonform, dass der Gentlemen einer Frau die Tür aufhält. Im Rahmen des "Gender Mainstream" interpretiert man das Aufhalten der Tür für eine Frau als indirekte Andeutung, dass es ihr aufgrund von körperlicher Schwäche ein Unbehagen bereiten würde, die Tür selbst aufzutun. Männern wird dieses Unvermögen nicht unterstellt, da ihnen die Tür nicht aufgehalten wird. Entsprechend muss sich der moderne Ehrenmann entscheiden, ob er sowohl Männern als auch Frauen die Tür aufhält oder niemandem, um niemanden zu beleidigen.

Ebenso verhält es sich mit dem Auslegen eines eigenen Kleidungsstückes auf eine Wasserpfütze, damit eine Frau keine durchnässten und verdreckten Schuhe bekommt. Laut Verhaltensspezialisten unterstellt dies Frauen eine erhöhte Oberflächlichkeit und streitet ihnen die Fähigkeit ab, ohne die Hilfe eines Mannes an Pfützen trocken und sauber vorbeizukommen. Ebenso wird argumentiert, dass ebenfalls Männer besonders hochwertige Schuhe tragen können, die weder nass noch dreckig werden sollen. Aber diesen hilft der klassische Ehrenmann nicht.

Aufgrund dieser Kritikpunkte entwickelt sich gerade eine neue Generation von Gentlemen, die als "Gender Gentleman" bezeichnet werden.